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Ob Extremwetterereignisse, Verlust der Biodiversität oder Gletscherschmelze: Ökologische Krisen sind eines der grossen Themen der Gegenwartsliteratur. Im Modus des Literarischen reflektieren wir Menschen des Anthropozän Zukunftsängste und Rettungsutopien, betrauern verlorene Arten oder suchen und bestrafen echte wie vermeintliche Krisenverursacher. Ökologische Krisenromane sind seit der Jahrtausendwende vom Buchmarkt nicht wegzudenken – doch wie steht es mit dem Theater? Tatsächlich herrscht in grossen Teilen von Feuilleton wie Forschung die Meinung vor, dass Drama und Bühne erst in den letzten Jahren begonnen hätten, sich mit ökologischen Krisen ernsthaft zu beschäftigen.
In unserem Seminar setzen wir dieser Annahme die Analyse einer dramatischen und theatralen Tradition ökologischer Krisenreflexionen entgegen. Denn schon zum Ende des 19. Jahrhunderts werden Dramen verfasst, die angesichts der Industrialisierung europäischer Lebenswelten vor den ökologischen Kosten dieser Entwicklung warnen. Auch in den folgenden Jahrzehnten lassen sich Beispiele für Theatertexte finden, die Kapitalismuskritik und Fortschrittsskepsis mit der Überzeugung verbinden, dass die Art, wie Menschen mit natürlichen Ressourcen wirtschaften, in ökologische Katastrophen führen muss. Beginnend mit Hendrik Ibsens Ein Volksfeind (1882) endet unser Streifzug durch die Dramen- und Theatergeschichte bei Elfriede Jelineks Theatertext Sonne, los jetzt! (2022). Auf dem Weg begegnen uns Krisenphänomene wie explodierende Gaswerke, verschmutzte Flüsse oder smogbelastete Grossstädte, dabei analysieren wir so verschiedene Formen des Schreibens für die Bühne wie Gesellschaftsdramen, expressionistische Theatertexte oder Stücke des Kindertheaters. In unseren Analysen vertiefen wir die in früheren Semestern erworbenen Fertigkeiten der Dramenanalyse, exemplarisch behandeln wir jedoch auch Bühnenproduktionen. Theaterwissenschaftliche Vorkenntnisse sind deshalb willkommen, aber keine Voraussetzung für eine Teilnahme. Weil wir bei unseren Analysen auf Konzepte und Methoden der environmental humanities zurückgreifen, eignet sich das Seminar auch für alle Studierende, die sich für eine Einführung in das Forschungsfeld ‚Literatur und Ökologie‘, insbesondere in Theorien des Ecocriticism, interessieren. Je nach den Wünschen der Teilnehmenden diskutieren wir Fragen wie: Welche ökologischen Krisen wurden zu verschiedenen Zeiten in Theatertexten thematisiert? Welche Vorstellung von ‚Ökologie‘ vertreten die Texte jeweils, in welchem Bezugsrahmen (Stadt, Land, Planet, …) sind die Krisen angesiedelt? Und: Welche gattungsspezifischen Schwierigkeiten und Chancen bieten Drama und Theater bei der Vermittlung ökologischer Krisen?
Von den Studierenden wird die Bereitschaft zur genauen Lektüre der Primärliteratur und ergänzender Sekundärliteratur erwartet. Referate im Sinne von Sitzungsübernahmen finden nicht statt, stattdessen arbeiten wir v.a. in Plenumsdiskussionen, die durch Gruppenarbeiten im Kurs vorbereitet werden. Die behandelte Literatur wird in der ersten Sitzung bekanntgegeben.
Zur ersten Annäherung:
• Benjamin Bühler: Ecocriticism. Eine Einführung. Stuttgart : Metzler 2016.
• Christina Caupert: Umweltthematik in Drama und Theater. In: Gabriele Dürbeck und Urte Stobbe (Hrsg.): Ecocriticism. Eine Einführung. Köln: Böhlau, S. 219-232.
• Adeline Johns-Putra: Climate change in literature and literary studies [...] In: WIREs Climate Change 7 (2016), Issue 2, S. 266-288. |